Sonntag, 24. April 2016

PRINCE

Als ich 1986 zum ersten mal in der Musiksendung „Formel eins“ das Video zu „Kiss“ sah, zeigte ich mich etwas verblüfft, dass hinter Stimme, die seit einigen Tagen erklang, sobald man das Radio einschaltete, dieser schnurrbärtige Mann mit der kurzgeratenen Lederjacke und der Elvistolle steckte. Für einen sechsjährigen war es durchaus befremdlich warum ein Mann mit einer so hohen Falsettstimme singt, und selbst meine Eltern konnten mir am Frühstückstisch bei dieser Frage nicht wirklich weiterhelfen. Doch trotz oder vielleicht auch wegen dieser anfänglichen Irritation fing ich an diesen einzigartigen Song zu lieben. So sehr, dass Tom Jones bei mir erstmal unten durch war, als er zwei Jahre später seine Coverversion in normaler Stimmlage herausbrachte (was sich inzwischen auch wieder geändert hat). So sehr, dass ich heute noch die Tanzfläche stürme, sobald das Gitarrenintro dieses Lieds ertönt, egal auf welcher Hochzeitsparty oder in welcher heruntergekommenen Spelunke ich mich gerade befinde.
Damals wußte ich noch nicht, dass vor dieser Singleauskopplung des Albums „Parade“, bereits 7 Alben von Prince veröffentlicht wurden, darunter eines der bedeutendsten Alben der Popgeschichte, „Purple Rain“, welches sich bis heute über 20 Millionen mal verkaufte, 2 Grammys und einen Oscar abstaubte und den 1,58 m großen Prince endgültig zu einem der ganz Großen der Popszene werden ließ. 
Es zogen ein paar Jahre ins Land, bevor ich in meiner Jugend beim Durchstöbern der unendlichen CD-Sammlung meines Bruders auf weitere Werke wie den vor Sex strotzenden Nummer-1-Hit „Cream“,  das Skandalstück „Sexy MF“, die 80er-Hymne „Little Red Corvette“ oder die softe R&B-Ballade „The Most Beautiful Girl“ stieß. Allein die kleine Auswahl dieser Songs verdeutlicht, wie wenig das Mysterium Prince greifbar ist und wie unmöglich es ist, diesen Künstler und seine Musik in eine Schublade zu stecken oder einem Genre zuzuordnen. Er scheute nicht davor innerhalb einer Platte zwischen Funk, Rap und Rock zu wechseln, er schien sich in jedem Genre zuhause zu fühlen. Wenn Michael Jackson den Titel „King of Pop“ innehat, dann war Prince der „King of Music“. Das Ausnahmetalent galt nicht nur als begnadeter Sänger, Songwriter und exzentrischer Entertainer sondern ebenso als einer der besten Gitarristen der Welt, ganz zu schweigen von den ungefähr 30 Instrumenten die er sonst noch beherrschte und auf seinen Alben (mit wenigen Ausnahmen) selbst einspielte. In den letzten Tagen verbreitete sich auf Twitter ein Zitat von Eric Clapton, der auf die Frage wie es sich anfühle, der beste Gitarrist der Welt zu sein, antwortete: „I don´t know, ask Prince!“. Es handelt sich dabei sehr wahrscheinlich um ein Fake-Zitat, doch wer Prince´ Gitarrensolo zu „While my guitar gently weeps“ bei George Harrisons Aufnahme in die Hall of Fame im Jahr 2004 sah, könnte sich gut vorstellen, dass es sich doch so zugetragen hat. So faszinierten mich Mitte der 90er als Hardrock-Fan auch die gitarrenlastigen Songs der Alben „The Gold Experience“ und „Chaos & Disorder“ (z.B. "Endorphinmachine"), die für mich trotz des kommerziellen Flops des letztgenannten Albums eine Art Demonstration darstellten, nach dem Motto ‚Wenn ich Lust darauf hätte, könnte ich auch das beste Hardrock-Album aller Zeiten rausbringen. Wenn ich Lust darauf hätte, könnte ich bei Guns N´Roses die Leadgitarre übernehmen und bei Aerosmith Steven Tyler ersetzen.‘ 
Der Perfektionist strebte stets die volle kreative Kontrolle über seine Alben an, die er dazu noch selbst produzierte, was ihm bei seiner Plattenfirma Warner Bros. Records mit der Zeit bekanntermaßen nicht nur Freunde einbrachte. Jahrelang führte Prince teils öffentlich einen Kampf für seine Unabhängigkeit und gegen seine Plattenfirma, indem er seinen Namen zu einem unaussprechlichen Symbol änderte, sich bei Auftritten und Fotoshootings „Slave“ auf die Wange malte, in seinen Musikvideos die Plattenchefs als Ausbeuter darstellte („The same December“) und sich den üblichen Marketingstrategien widersetzte. Seine Schaffenskraft, Energie und Kreativität waren so unerschöpflich, dass er jedes Jahr mindestens eine Platte wenn nicht sogar mehrere produzieren wollte und insgesamt sage und schreibe 39 Studioalben herausbrachte. Warner Bros. versuchte ihn dagegen zu bremsen und Zwangspausen zu verordnen um ein Album konventionell zu vermarkten. In der Folge veröffentlichte er parallel bei anderen Labels Alben, oder verteilte sie gratis bei Konzerten um seine Plattenfirma zu düpieren und dabei als Pionier ganz neue Marketingwege zu gehen. So erkannte er als der erste populäre Interpret die Möglichkeiten des Internets und stellte nach der Erfüllung seines Vertrags bei Warner Bros. einige Alben in den Folgejahren ausschließlich auf seiner Homepage als Download bereit und war dadurch seiner Zeit weit voraus.
„Musicology“, das von den Kritikern hochgelobte Album, das ihm nach längerer Zeit auch wieder kommerziellen Erfolg einbrachte, war das letzte Album, das ich mir komplett runtergeladen habe. Ich muss gestehen, dass ich danach den musikalischen Werdegang von Prince etwas aus den Augen verloren habe, von einigen Songs wie z.B. „FIXEURLIFEUP“, den er mit seiner neuen Band 3rdEyeGirl produzierte, abgesehen. Vor allem in Europa war Prince im letzten Jahrzehnt immer weniger zu fassen, vertrieb Alben oft spontan beispielsweise als Beilage zu Zeitschriften und Büchern anstatt auf dem normalen CD-Markt und kündigte Konzerte meist nur wenige Tage vorher an, wobei gerade die Deutschland-Konzerte sehr rar gesät waren.
Im Nachhinein reut es mich doch etwas, nie die Chance gesucht zu haben, diesen schillernden Ausnahmekünstler live zu erleben. Man merkt leider meist zu spät, wie glücklich man sich schätzen konnte, zeitgleich mit einem der größten Genies der Popgeschichte diesen Planeten zu bewohnen, so wie unsere Eltern noch von Elvis Presley und Jimi Hendrix schwärmen können. Also erfreuen wir uns besser noch an all den Legenden wie Paul McCartney, Mick Jagger, Iggy Pop, Eric Clapton, Eddie van Halen und wie sie noch alle heißen, die hoffentlich noch lange unter uns weilen, bevor wir irgendwann mit Justin Bieber und David Guetta allein gelassen werden. 
Rest in Peace, Prince Rogers Nelson. Thank you for the Music!


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